Heinrich Anton Müller – Art brut

4. November 2019 von Paul Dorn

Heinrich Anton Müller         (1869 – 1930)

 

Katalog der Maschinen, Zeichnungen und Schriften,

hrsg. Roman Kurzmeyer, Stroemfeld Verlag, Basel 1994

HeinrAMüller

 

Wie dem Buch zu entnehmen ist, war Heinrich Anton Müller (1869-1930) eine wichtige Figur für Hans Prinzhorn, Jean Dubuffet, Harald Szeemann und Jean Tinguely. Sein Werk oder was davon übrig geblieben ist, ist jedoch klein; 45 Zeichnungen/Malereien und 5 Maschinen, letztere existieren nur noch als Photographien. Zirka 14 der Zeichnungen sind mit Texten, Liedern und/oder Gedichten versehen.

 

Grundsätzlich ist das Buch eine verdienstvolle Arbeit. Saubere, fleissige Sortierung des gesamten Werks von H.A.Müller. Alles was an Klinik-Aktennotizen existiert, Zeittafel, Lebenslauf, Briefe der Angehörigen an die Klinik, akkruat alle Texte, Lieder, Gedichte vollständig abgedruckt, selbstredend alle Zeichnungen, Malereien farbig im Mittelteil des Buches reproduziert.

Schauen wir uns das schön gebundene Buch der Reihe nach, Inhaltsverzeichnis als Wirbelsäule, an:

 

Erster Kapiteltitel: Evokationen des Wunderbaren

Kunst- respektive Ausstellungskataloge sind oft Verwirklichungsorte für überflüssige Textproduktion. An weit entfernter Stelle von der entsprechenden Abbildung wird eine Abbildung beschrieben (mit Worten versuchte Abbildung), auf dass dann die Beschreibung beschrieben wird. Wieso nicht den Text direkt neben die Abbildung?

Ein Bild zu beschreiben, ist tendenziös, besonders wenn der Beschreiber (Beschäler) das Bild dann noch interpretiert. Freie Beschreibungen von Kunstwerken in Prosa, Reportage, Gedicht etc. erachte ich auf jeden Fall für legitim, në!

Bei dem ganzen Geschreibse – und das bei einem 25 Jahre alten Buch – also schon damals haben sie so geseiert, hm, – drückt der ganze Eigendünkel und die Abgrenzung der Kunst – Haute-Volée durch. Der Titel: Schwulst. Die Reithalle Bern (autonomes Kulturzentrum in Bern) wird zu Müller hingebogen oder umgekehrt, es tauchen die Worte „künstlerisch“, „Spätwerk“, „Materialität“, „Inkohärenz von Wirklichkeit“, „materialästhetisch“, „kultivieren“ auf. Es wird einem Mann, den man damals als besseres Tier katalogisierte, entsprechend hielt und verwaltete, sowas von nicht gerecht, als hätte der intellektuell auf einer DeSede-Liege mit Sektglas in der Hand seine „Kunst“ designt. Was für eine Überstülpung von falscher Sprache und Semantik.

 

Zweiter Kapiteltitel: Maltechnischer Befund

Hey Henrietta Mentha: totally mental! Trink ’n Pfefferminztee und hör auf, Interpretationen durch deinen Stirnverband sickern zu lassen. Bleib beim maltechnischen Befund. Auch bei diesem ist noch allerlei überflüssige und dazu verunglückte Textproduktion festzustellen.

 

Dritter Kapiteltitel: Das Kunstwerk als Ruine: Materialästhetik oder Selbstzerstörung?

Schwulst zum Zweiten. Textwiederholungen aus dem zweiten Kapitel, auch Wortschwurbel-wiederholungen, Interpretationismus; wieder die Unterstellung von rationaler Tat/Konstruktion/Ausführung. Eine Art Brut-Schaffender als Kunstingenieur. Überhöhung, Aufblasung, Stilisierung.

HAMüCopy

 

Siebter Kapiteltitel: Lebens- und Produktionsbedingungen

Tinguely wird etwas voreilig in den Text geworfen.

Münsingen, die psychiatrische Anstalt zwischen Bern und Thun, war damals eine moderne Anstalt. Sie war eine Korrektur-, Verwaltungs- und Arbeitsanstalt und entsprach dem aktuellen Wissensstand, der öffentlichen Meinung und Arbeitsmoral, …welche sich von der heutigen in diesem Land nur geringfügig unterschieden.

 

Achtes Kapitel: Krankengeschichte

Unglaublich mageres Papier, was teilweise – siehe vorheriges Kapitel – nicht verwundert, doch verwundert: 5! Seiten Bemerkungen zu 24 Jahren Klapse…!

 

Zehntes Kapitel: Lebensdaten

Äh, -prrr. (Lippengeräusch) überflüssige Textproduktion, da alle die Informationen schon in den anderen Kapiteln detailliert gegeben sind.

 

Elftes Kapitel:

Der Text über Jean Dubuffet könnte man zwar als kunsttheoretisch-geschichtliches Insider-problem abtun, dazu Tertiärliteratur. Das finde ich nun aber nicht, der ist recht spannend.

Der Aufsatz ist eine Untersuchung über allerlei Inkonsequenz, Instrumentalisierung und Idealisierung in den Theorien Dubuffets, auch über das Verhältnis von Dubuffet zu Prinzhorn.

 

Zwölftes Kapitel: Hinweis auf einige Freunde seiner Maschinen

Daniel Spoerri, Jean Tinguely, Bernhard Luginbühl, Harald Szeemann. Ansonsten eiert der Text einigermassen von H. A. Müller weg und schleckt auf den Wiesen der modernen Kunst und bekannter Namen, aber es wird nur teilweise deutlich, dass H. A. Müller eine direkte Strahlkraft hatte; dem Kapitel wünschte ich etwas mehr Struktur. …und wieder noch Geschwülstel. Urteilt selber. Diese Rezension ist sonst halbwegs eine Liste, welche Kapitel man weglassen oder doch nicht soll?

 

Irgendwie ist diese Künstel-Texterei der Versuch, eine Wissenschaft sein zu wollen und richtige Wissenschaften sind nur die sogenannten Naturwissenschaften, das sei hier ’mal ganz klar festgehalten. 1. Es lässt sich erkennen, weshalb sich alle diese AutorInnen allenthalben dermassen verquast versteigen. 2. Ein recht genaues spezifisches Vokabular, eine kunsttheo-retisch-kunsthistorisch-intellekutuelle Fachsprache dient der genauen Messung der Kunst.

Wieso strotzen diese Kalibrierungstexte dennoch von persönlichem Geflöte, es saftet überall grausam. Überinterpretierungen, höchst geistreiche Verknüpfungen Geisterbahnen bis vor die Genesis kreuz und quer und theoretisches Leiden, darübergepudert massenhaft Strass. Auslooooten.

Ob ich es je schaffen werde, Werner Spies’ Geschreibel zu Max Ernst „Collagen“ – ein Tot-schlagkatalog – zu lesen?

Irgendwie ganz kurz gesagt: Schreibt doch einfach mit Mutwillen, Freude, wildem Geifer und Handgranate, dass der oder die „KünstlerIn“ geilen Scheiss macht. TACK!

 

Beste Grüsse

St.Pauli

 

Dadamt Zörich, Herbst 2019

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