Cabareit Voltaire – Vergangenheit

12. Januar 2020 von Paul Dorn

Dadamt Zörich,  2. XI. 2019

Eine subjektive Würdigung

der ersten Phase des „Cabaret Voltaire“ – Zürich 2004 – 2019

 

 

Vorbemerkung

Gämsenfüsschen, weil das Gebäude erst seit der Wiedereröffnung 2004 so heisst. Der dama-lige Name Meierei wäre treffender, denn was in diesen Jahren gemüllert und gemeiert wurde – aber schauen wir ’mal.

(Keine Anspielung im Geringsten auf Philipp Meier!)

 

Die Vorgeschichte ist hinlänglich bekannt:

Als das Gebäude, das 1916 für etwa vier Monate die Soirée-Serie namens Cabaret Voltaire der Dada-GründerInnen beherbergt hatte, nach 2000 ’rum zum Verkauf stand, schlief die Immobilienabteilung der Stadt Zörich. Das Gebäude wurde an die Swiss Life verkauft.

Mark Divo und die poetische Häuserbesetzertruppe „Häuser & Wir“ haben daraufhin das Ge-bäude bewohnbar gemacht, mit Kultur gefüllt, für jedermann* geöffnet und so lange Nonstop-Dada-Shows veranstaltet, bis die Stadt erwachte und immerhin zu einem säuischen Preis mie-tete sie fortan die Räumlichkeiten der einstigen Kneipe. Wenige Jahre später ergriff die städti-sche Holzweg- und -kopfpartei SVP (schweizerische VoPo) das Referendum gegen die Ver-längerung des Betriebskredits, welches die StimmbürgerInnen mit 2/3-Mehrheit versenkten.

Vor kurzem nun ging es in einer kommunalen Abstimmung darum, ob die Stadt das Gebäude im Tausch gegen städtische Immobilien tauschen kann. (Schon sonderbar, dass eine schon lange solid rotgrün regierte Stadt sich mit einem börsenkotierten Konzern ins Bett legt und merkwürdige Liegenschaftshändel tätigt.) Der Deal kam durch.

 

Zum Inhalt:

Viele Jahre war ein Duo von Kuratoren tätig. Philipp Meier für das zeitgenössische Dada, Adrian Notz für die historische Seite. Das funktionierte eigentlich gut; Philipp Meier sorgte immer ’mal wieder für kleine Skandälchen, eigentlich richtig hübsch Dada; die Presse schrieb mit Vergnügen. Aber sofort kam die Stadtregierung wie Kläffpinscher an der Leine der SVP angehoppelt und tränelte: „Böböböbö! So etwas dürft ihr aber nicht mehr machen!“

  1. a) Störung der Totenruhe – Zörich, Stadt der Rolexboutiquen?
  2. b) Stimmen-Verlustangst der SP & Co. trotz feudaler Mehrheiten?

2013 sprang offenbar ein gewichtiger Sponsor ab – Finanzprobleme. So stellte sich plötzlich die Frage, welcher der beiden Kuratoren gehen muss. Rouge ou noir? Was tippen Sie?

Da gibt es wenig zu raten und es gab kein Glücksspiel. Der witzigere wurde gegangen. Es muss allerhand Stunk in der Affaire drin gewesen sein.

 

In diesen ersten Jahren erinnere ich mich vor allem an eine Soirée, die sich gewaschen hatte: Der Beat-Poet Gion Giorno trug Dichtungen vor, der Verleger von Walter Serner, Klaus G. Renner wurde interviewt und da war eine Hand voll junger Franzosen, von denen einer Country-Musik sang, immer wieder das Spiel unterbrach und mit einem Astlochbohrer Löcher in seine Akkustik-Gitarre knirschte, bis sie im Eimer war.

Auch das Fest nach dem abgeblitzten SWauwauP-Referendum war ein sehr vielseitiges und ausgelassenes Gebrodel im ganzen Haus.

Andere Veranstaltungen waren nicht so mein Bier, da sie recht konzeptuell, theoretisch und kunstartig thematisch daherkamen; Dada ist teilweise Geschmackssache.

 

 

Adrian Notz blieb übrig und nannte sich fortan Direktor.

Gefühlt hat er über alle die Jahre immer die gleichen KünstlerInnen eingeladen; das Voka-bular in den Newsletters war das der (land-)läufigen Kunst, alles war „kuratiert“, Theorie-disskussionen, es handelte sich um Kunst;

– dabei ist Dada per definitionem keine Kunst –

was irgendwie hätte skandalisch sein sollen, war nur noch imagiert im Direktor drin. Die Tendenz des Habitus des Direktors und der veränderten Inneneinrichtung versuchte auf Dandyismus hinzuwirken, was ziemlich fragwürdig ist, denn entweder ist eineR Dandy (Sorte Serner, J. Rigaut, R. Roussel, W. Duchamp; F. Picabia), aber herstellen? Es gehört höms… auch Esprit dazu.

Ein Zeitchen waren mit Grafiken versehene Thesen des Direktors auf Goldfolien in den Räumlichkeiten des Cabaret Voltaire angeschlagen; im Jahr 2015 wurde der 99. Geburtstag Dadas mit einem verkrampft inszenierten Nummernprogramm begangen, das u.a. auch Austernausschlürfen beinhaltete; auch andere Beiträge hätten lustig sein sollen.

Es stellt sich die Frage, inwiefern die Sorte Schickymicky-Imitation inmitten von Luxus- und Yuppie – Läden irgendwie Sinn macht.

Die Übernahme der Restauration vom langjährigen Pächter und die Vertauschung des Shops mit einem weiteren Tresen hat wahrscheinlich nicht die erhofften Mehreinnahmen gebracht. Von da an war das Cabaret Voltaire die halben Zeit geschlossen.

Der Herr Direktor Notz veröffentlichte in der Zeit drei Publikationen in Buchform.

Das erste, „Modul“, Dada-Gedichte eines Semesterprojekts mit KunststudentInnen. Ein gutes Büchlein, mit schrägem Zeug drin, in dem sich aber auch ablesen lässt, wer a) eher eine Ader zur Schreibe und/oder b) wer etwas mit Dada anfangen kann.

Zum zweiten: „165 Dada ist Innen“ – ein sehr schöner Titel!, im 99. Jahr Dadas publiziert und stellt alle 165 DadaistInnen vor, die zum 100-Jahr-Jubiläum gefeiert werden sollen. – Pause – Leere – Stille – .

Es würde mich wirklich interessieren, wer die Pfeife ist, die alle die falschen und zeitge-schichtlich falsch gewichteten und höchstwahrscheinlich per oberflächlicher Inernetrecherche zusammenbelieberten Informationen verbrochen hat. Absolut mangelhaft und unsorgfältig, möglicherweise Zeitdruck und unterbezahlt – derart unsorgfältig wirkt es; höchstwahrschein-lich hatte die Person auch keinen Schimmer von der Materie und keine Fremdsprachenkennt-nisse. (Hier im Dadamt befindet sich zwar keine grosse Dada-Spezialbibliothek, jedoch zu den italienischen Dadas können hier in einem italienischen Buch spaltenlange Lebensläufe gelesen werden, im „165“ schlicht nix.) Aber: Wer hat den Dünnpfiff dann durchgewunken? Und kommt noch auf die dämliche Idee, Kategorien wie „Dada-Soldat“ zu erfinden. Lustik?

Kleiner Exkurs zum Jubiläum 2016:

Es täte mich doch wunder nehmen, wie viele Leute an einem der 165 Male morgens irgend um 06.00 Uhr im Cabaret Voltaire in der „Krypta“(?) an den sog. „Offizien“ zur Ehrung des Tagesdadas teilnahmen. Schlecht verdauter Frühmessen-Katholizismus – ich war nie dort.

Der erweiterte Rahmen von „Filibanserin 100“: Es gab Vorschläge für ein Dada-Tram, das im Verlauf des Jahres auf allen Linien verkehrt wäre – mit Live-Programm; jeden Monat in ei-nem der 12 Stadtkreise Workshops und Veranstaltungen abzuhalten etc…. Die Institutionen der Quartierkultur in den äusseren Stadtkreisen hätten es sehr geschätzt, denn alle Kultur findet immer nur im Zentrum statt, darüber hinaus wäre es bei beiden Ideen auch darum gegangen, Dada der Bevölkerung näher zu bringen. – Trotz des Konzept-Mottos „Lokal -global – universal. – Kein Geld. Mach’s Dir auf wemakeit. Geld gab es nur für den Eigenurin des Kurators (nicht identisch mit Hr. Notz) und zwar in Hülle und Fülle; nach nur 5 Monaten war der Spuk vorbei und 1-1,5 Melonen weg, die Bevölkerung genervt ob all dem medialen Hype, denn das ganze blieb elitär.

Die „Zürcher Festspiele“ im Frühsommer im Anschluss daran – eigenes Budget – widmeten sich in jenem Jahr ebenfalls Dada und hatten viel erfrischendere Ideen…

  1. Buch, das „Dada Handbuch“ Herr Direktor Notz erklärt uns in 5 (Finger) Kapiteln, gute Idee, was Dada ist. – Kurz. Ein bisschen mehr als lexikalisch, schlechte Idee. Dada „erklären“ ist grundsätzlich Bullshit. Im Sinne von Wissens-Ware und wird in einem Schublädchen versorgt, AUS. Die Vermittlung von Dada, also Kernsubstanz statt historische Oberfläche, gebietet eine Art subjektive Fütterung, die zum Mitmachen und Ausprobieren verleitet… vielleicht zum Klick… – Ein unbrauchbares Buch.

Ich möchte allerdings auch festhalten, dass Adrian Notz bezüglich der Dada-Materie sehr sattelsicher ist. Er hat sein Wissen immer unvoreingenommen geteilt, war hauptsächlich freundlich und seine Vorträge sind genau und ausführlich. Impeccabile.

 

 

Was wird?

Meines Erachtens hätte das Cabaret Voltaire den Job, für das Perla Mode in die Bresche zu springen. Eine Drehscheibe im Zentrum Europas für alle reisenden Verrückten aus aller Herren Länder.

Ob jemand wirklich etwas wagt in dieser ritalinisierten und gentrifizierten Stadt? und die Politik dazu noch den Daumen auf dem Haus hat?

 

Ab nun, 2020, übernimmt Salome Hohl.

 

 

 

*Gendersternchen.

 

 

Mit besten Grüssen

St.Pauli

 

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